3 frühe Anzeichen für Dyskalkulie

Symptome bei Dyskalkulie früh erkennen - Früherkennung von Rechenstörungen

Bereits in der ersten Klasse beobachten Eltern und Lehrkräfte besorgt, wenn ein Kind Schwierigkeiten hat, den Mathematikstoff zu erfassen. Es dauert meist nicht lange, bis die Frage nach einer Dyskalkulie bzw. einer Rechenschwäche oder Rechenstörung im Raum steht. Schon dann treten die ersten Unklarheiten auf.

Es ist sehr wichtig, dass Lehrkräfte ganz genau wissen, worauf sie achten sollten, wenn es um Schwierigkeiten in Mathematik geht.

In diesem Blogartikel betrachten wir die drei wichtigsten Indikatoren, welche bereits im ersten Schuljahr auf Rechenschwierigkeiten hinweisen können. Diese drei Anzeichen werden dir helfen, eine mögliche Dyskalkulie frühzeitig im Auge zu haben.

Gleichzeitig helfen dir diese Indikatoren genau zu wissen, welche Kinder von gezielten Fördermassnahmen profitieren werden.

Gut beobachtet ist halb diagnostiziert.

Wenn du deine Schüler:innen beobachtest, solltest du nicht nur darauf achten, welche Fehler sie machen. Genauso wichtig ist der Faktor Zeit. Achte insbesondere darauf, dass die Kinder Aufgaben zügig lösen können, welche in deiner Klasse ausführlich geübt und automatisiert wurden. Wenn Kinder bei solchen Aufgaben länger brauchen, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass sie ungünstige Strategien verwenden. Auf diese drei Aspekte kannst du beim Beobachten achten:

1. Mengenerfassung

Bei der Mengenerfassung wird zwischen simultaner Erfassung und quasi-simultaner Erfassung unterschieden. Bei der simultanen Anzahlerfassung geht es darum, Mengen bis vier auf einen Blick zu erkennen. Diese Mengen können unstrukturiert sein: Zum Beispiel können Muggelsteinchen völlig zufällig auf dem Tisch platziert werden. Das Kind sieht die Zahl für eine Sekunde und benennt ohne zu zählen die korrekte Anzahl. Bei der quasi-simultanen Anzahlerfassung wird eine visuell strukturierte Menge angeboten – zum Beispiel die 12 auf dem 20er Feld. Auch diese Menge wird nur kurz gezeigt, sodass das Kind die Anzahl benennt ohne vorher gezählt zu haben.

Wenn ein Kind in diesem Bereich Schwierigkeiten hat, sollte dies unbedingt als Warnsignal erkannt werden.

Gleichzeitig ist die Förderung der Mengenerfassung eine hervorragende Fördermaßnahme. Die Wirksamkeit von Interventionen in diesem Bereich konnte wissenschaftlich gut belegt werden (Fischer et al., 2008).

2. Zählen als Allrounder Strategie

Wenn ein Kind für einfache Aufgaben länger braucht als erwartet, könnte das darauf hindeuten, dass das Kind ungünstige Strategien verwendet – besonders häufig beobachten wir bei Kindern mit Dyskalkulie als einzige Strategie das Zählen.

Hin und wieder habe ich erlebt, dass Lehrkräfte oder Eltern dem Kind verboten haben zu zählen. Das führte dann jeweils aber eher zu Verunsicherung des Kindes als zur Bereitschaft andere Strategien zu erlernen. Das verwundert mich nicht:

Wenn wir das Zählen verbieten, nehmen wir dem Kind die einzige Strategie, welche es bislang verlässlich anwendet.

So wird Mathe für das Kind erst recht zum Buch mit sieben Siegeln.

Statt dessen kannst du gemeinsam mit dem Kind herauszufinden, in welchen Situationen das Zählen gut funktioniert, und wann es viel zu lange dauert und fehleranfällig wird. So versteht das Kind schnell, warum auch andere Strategien nützlich sein können und hat auch die Chance, Motivation zu entwickeln und etwas Neues zu lernen.

3. Zahlzerlegungen bis 10

Bis zum Ende der ersten Klasse sollten alle Kinder die Zahlzerlegungen bis 10 gut beherrschen. Bei der Zahlzerlegung geht es darum, dass das Kind eine Zahl in zwei oder mehrere Teilzahlen zerlegen kann. Es weiß zum Beispiel, dass sich die 7 aus der 3 und der 4 zusammensetzt, aber auch als 2 und 5 dargestellt werden kann.

Falls Kinder bei solchen Aufgaben Mühe haben und mehr Zeit brauchen als erwartet, könnte es sein, dass sie noch innerlich zählen. Es ist ebenfalls gut möglich, dass sie die simultane Anzahlerfassung nicht ausreichend beherrschen und so die Teilmengen der Zahlzerlegungen gar nicht erfassen können. So verfestigt sich die Strategie des Zählens schnell bei diesen scheinbar noch leichten Aufgaben.

Fallbeispiel

Obwohl diese drei Bereiche auf den ersten Blick unabhängig voneinander erscheinen, hängen sie eng zusammen. Am Beispiel der sechsjährigen Leonie (Name geändert), die ich drei Jahre lang begleitet habe, zeige ich dir diese Zusammenhänge.

Der Verlauf

Leonie hatte bereits im Kindergarten Schwierigkeiten, Mengen bis vier simultan zu erfassen. Während andere Kinder Mengen bis fünf mühelos erfassten, begann sie sofort zu zählen. Ihre Strategie war es, möglichst schnell zu zählen, um mit den anderen mitzuhalten.

In der ersten Klasse bemerkte zunächst niemand, dass sie Mengen nicht direkt erfassen konnte – schließlich kam sie ja irgendwie zur richtigen Lösung. Als der Zahlenraum bis zehn und zwanzig eingeführt wurde, hielt Leonie an ihrer bewährten Zählstrategie fest. Auch auf dem 20er Feld zählte Leonie die einzelnen Elemente der Fünfer- und Zehnergruppen ab, obwohl sie wusste, dass es Fünfer- oder Zehnergruppen waren.

Die Kraft der Fünf und die Bedeutung der Zehn im Dezimalsystem konnte nicht verankert werden, weil sie in zu vielen Übungssituationen erfolgreich auf die Zählstrategie zurückgriff und sich diese dadurch manifestieren konnte.

In der Folge konnte sie keine flexiblen Zahlzerlegungen bilden. Statt automatisch zu wissen, dass 7 sich aus 3 und 4 oder aus 2 und 5 zusammensetzt, musste sie auf das Zählen zurückgreifen.

Leonies Selbstbewusstsein litt und sie beteiligte sich immer seltener aktiv im Matheunterricht. Auch solche psychischen Anzeichen sind typisch und können bereits im Grundschulalter zu ernsthaften Problemen führen.

Die Fördermaßnahmen

In meiner Förderplanung achte ich immer darauf, verschiedene Settings zu bedenken. In heterogenen Klassen ist es mir besonders wichtig, mindestens eine Fördermaßnahme im Klassenverband durchzuführen.

Einzelsetting

Mit Leonie übte ich zunächst gezielt die simultane Mengenerfassung bis drei und später bis vier. So konnte ich Leonie zeigen, dass sie nicht immer zählen muss. Gleichzeitig konnte ich ihr Selbstbewusstsein stärken als sie merkte, dass ihre Augen diese Mengen mit etwas Übung “einfach sehen”.

Klassensetting

Meine zweite Förderstrategie bestand darin, Leonie in ihrer gewohnten Strategie, dem Zählen, sinnvoll zu bestärken. Um das zu erreichen, arbeitete ich mit der gesamten Klasse am Thema “Flexibles Zählen”.

So konnte Leonie zunächst mit ihrer perfektionierten Zählstrategie vor der ganzen Klasse glänzen und durfte wieder einmal die Erfahrung machen “gut in Mathe” zu sein. Gleichzeitig konnte ich sie so anregen, diese Strategie zu verfeinern und besser kennen zu lernen.

Dies sollte die Grundlage für die Einsicht schaffen, dass die Zählstrategie zwar oft zielführend ist, aber auch an ihre Grenzen kommen kann.

Weiterarbeit

Nach ungefähr einem halben Jahr konnte ich mit Leonie die Zahlzerlegungen im Zahlenraum bis 10 erarbeiten. Diese konnte sie nun bearbeiten ohne permanent auf ihre Zählstrategie zurückzugreifen, da wir die simultane Mengenerfassung geübt hatten.

Persönliches Fazit

Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich mir gewünscht habe, dass Leonies Schwierigkeiten bereits in der ersten Klasse erkannt und angegangen worden wären. Leonie hätte es so viel leichter haben können. Frühe Förderung hätte ihr so viel Frust erspart und ihr Selbstbewusstsein im Umgang mit Zahlen gestärkt.

Darum ist es so wichtig, dass bereits in der ersten Klasse sehr genau auf diese drei einfachen Indikatoren geachtet wird.

Schlüsselgedanken zum Mitnehmen

  • Achte darauf, ob ein Kind Mengen sofort erkennt. Die Mengenerfassung ist dein wichtigster Indikator für Rechenschwierigkeiten.
  • Werde hellhörig, wenn ein Kind ausschließlich Zählstrategien nutzt.
  • Überprüfe am Ende der ersten Klasse die Zahlzerlegungen.

Jede dieser Beobachtungen gibt dir Hinweise auf geeignete Fördermaßnahmen. Die beste präventive Maßnahme ist die gezielte Förderung der simultanen und quasi-simultanen Mengenerfassung.

Quellenverzeichnis

Fischer, Burkhart & Köngeter, Dipl & Hartnegg, Klaus. (2008). Effects of Daily Practice on Subitizing, Visual Counting,and Basic Arithmetic Skills. Optometry & Vision Development. 39.

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